Sehnsucht II


Unübersehbar haben wir heute interessante Gäste. Das Video zeigt 2 Minuten lang Menschen in einer ganz bestimmten Rolle. Es handelt sich um Zeitgenossen, die regelmäßig für einige Stunden oder für ein Wochenende an Live-Rollenspielen teilnehmen. Sie nehmen  ein ganz bewusstes role-taking vor, d.h. sie nehmen sich eine Rolle und werden eine andere Person.

Alle Menschen können dies und tun dies auch. Wir nehmen die Rolle einer Mutter, eines Vaters, eines Bruders, einer Ärztin, eines Fußballstars oder eines Propstes… ein. Wenn Sie Kinder beobachten können Sie etwas Spannendes erleben: Kinder nehmen im Spiel eine Rolle an: Indianer, Spiderman, Prinzessin… Kinder erfahren, indem sie diese Rolle einnehmen, etwas ganz Wichtiges. Sie erfahren in der Rolle des Winnetous wie es ist so tapfer und klug zu sein. Sie erfahren in der Rolle eines Aubameyangs oder Marco Reuss wie es ist so gut Fußball zu spielen …. Was erfahren unsere Gäste in ihrer Rolle wohl über sich selbst.

Im Vorbereitungsteam hatten wir nach unserem letzten Gottesdienst den deutlichen Eindruck, dass da noch etwas ist. So haben wir uns entschlossen, das Thema Sehnsucht noch einmal aufzu-nehmen. In 2 Monaten ist Weihnachten, vielleicht das Sehnsuchtsfest schlechthin.

Ich habe mich gefragt ob an Weihnachten Gott nicht auch ein role-taking vornimmt. Offensichtlich reicht es Gott nicht Schöpfer… zu sein. Gott wird Mensch. Er nimmt die Rolle Mensch ganz und gar, mit Haut und Knochen ein. Was erfährt er dabei über uns und über sich? Welche Sehnsucht Gottes drückt sich darin aus?

Und haben wir auch so eine ver-rückte Sehnsucht nach Gott?

Bildbetrachtung


"Das Mahl der Sünder" von Sieger Köder

 

 

 


1. Eine Abendmahlsdarstellung ganz besonderer Art

Denn: Um den Tisch des Paschamahles sitzen nicht die zwölf Gefährten Jesu in vertrauter Runde, sondern sieben Personen, bunt zusammengewürfelt die uns zunächst fremd erscheinen.   Nach Jesus  suchen wir vergeblich. Der Maler sieht ihn dort gegenwärtig, wo wir, die Betrachter sind.   Die Blicke der Tischgenossen sind auf ihn gerichtet. Sichtbar sind nur seine Hände.   Es blüht auf dem Tisch etwas Zartes, Kostbares auf, ausgedrückt im Bild der Rose.

 

2. Das Bild meditiert ein Kernstück der biblischen Botschaft:

Die Gemeinschaft Jesu mit den Sündern, mit den Außenseitern der menschlichen Gesellschaft.

 

3. Wer wäre es heute, mit dem Jesus Mahl halten wollte?

 

4. Wer sind die Gefährten Jesu hier und heute?

Folgen wir der Runde von rechts nach links. 

Da ist ganz rechts der Afrikaner, einer aus der sogenannten Dritten Welt, ein Habenichts, ein Überflüssiger, den keiner braucht. Er ist das Gesicht aus den Gettos der Schwarzen   geschunden, gequält.

Da ist eine vornehme Dame, aus besseren Kreisen, standes- und traditionsbewusst. Eigentlich will sie ja mit diesem Gesindel nichts zu tun haben, nur nicht die Hände schmutzig machen.

Weiter: ein Intellektueller mit Brille und Bart, möglicherweise ein Student, vielleicht ein Linker, jedenfalls einer, der in Frage stellt, ein Zweifler und deshalb zum Ärgernis geworden ist.

Dann kommt ein Clown, hinter der Maske verborgen: Traurigkeit, Sehnsucht ein Mensch, der im Spiel der Ironie Realität und Alltag erträglich macht, zwischen Lachen und Weinen ein Spiegel unseres Lebens.

Sodann eine alte, blinde Frau mit verhärmtem Gesicht von Armut und Trauer gezeichnet, weggeholt vom Bettel-Job.

Neben ihr die Dirne, eine von den Tausenden registrierten oder illegalen Frauen des Sexgewerbes, Ihr Körper ist ihr Kapital, ihr Geschäft.

Ganz links dann der jüdische Rabbi. Sein Gebetsschal zeigt seine Treue zum Gesetz, das Gott gegeben hat, dem er sich ausliefert auch in tiefster Not, in Verfolgung und Hass

Eine feine Gesellschaft also. –

Der Tischherr kann mit diesen Gästen "keinen Staat machen".

 

5. Eine seltsame Gesellschaft

Mit leeren Gesichtern, mit leeren Augen, Augen, die durstig sind nach einem Menschen, der ihnen Vertrauen schenkt, der sie annimmt wie sie sind, der nicht fragt, wer seid ihr, wo kommt ihr her, was taugt ihr denn.

 

6. Wo wäre auf diesem Bild für mich ein Platz? 

 

7. Der letzte Platz

Wie wäre es denn, wenn wir den achten Platz einnehmen würden, den Platz dessen auf den alle Blicke gerichtet sind?

Dann wären wir der Gastgeber und hätten jene Sonderlinge und Unbequemen, die Herausforderer und Ärgernisse an unseren Tisch geholt, um ihnen das Mitzuteilen, was Jesus ihnen gab und wofür die Rose steht: Verständnis und Vergebung, Angenommensein und Vertrauen, Beachtetsein und Würde.
 
Der letzte Platz beim Mahl der Sünder ist eine Herausforderung. Wenn ich als Christi Bruder oder Schwester mitten unter Brüdern und Schwestern sitze, dann kann ich nicht wohltätig den feudalen Bewirter spielen, gönnerisch, von oben herab. 

 

8. Der barmherzige Vater

 
Im linken Teil des Bildes, hinter der Tischgemeinschaft, erhebt sich die Saalwand. Das Motiv des barmherzigen Vaters und verlorenen Sohnes.
Der Vater umarmt den Heimgekehrten. In der Umarmung erfährt er Versöhnung und erlösende Befreiung aus aller Not.
 
Daneben aber, abgewendet von der Szene der Heimkehr, sitzt der gerechte, getreue Sohn, der Bruder ohne Dreck am Stecken, ohne Fehl und Tadel, gefangen in seinem Trotz, in der Rebellion und der Auflehnung.

 

9. Stein des Anstoßes

 
Leicht zu übersehen auf dem Bild, aber dennoch da:
der Stein des Anstoßes auf der Türschwelle. Anstoß, Ärgernis, Empörung, Skandal, das war Jesu Mahlgemeinschaft mit den Sündern für die Frommen: das darf nicht sein; das geht zu weit, das war noch nie so, wo kommen wir denn da hin, das ist gegen jede Regel, das ist gegen jede Gewohnheit, unmöglich ... Sind uns diese Redewendungen nicht bestens vertraut?
 
Schluss

Das Bild von David LaChapelle nimmt die Provokation von Köder in einer ganz und gar gegenwärtigen und noch „krasseren“ Art auf. Möchten Sie zu dieser Tischgemeinschaft gehören?
 
Versuchen wir den Blick und die Gegenwart jener Tischgenossen auszuhalten, die uns auffordern, uns auf den Weg zu machen an jenen Platz, den Jesus als Mensch unter Menschen eingenommen hat.

Kyrie


Hast du dich eigentlich gefragt, warum eigentlich? – Haben wir uns eigentlich gefragt, warum eigentlich?
Warum eigentlich es dir (uns) so gut geht?
Warum eigentlich du (wir) hier geboren bist,
in gesicherten Verhältnissen, mit einem Dach über den Kopf?
Ob es eigentlich selbstverständlich ist, dass du (wir) jeden Tag satt wirst (werden)?
Ob es eigentlich ganz natürlich ist, dass du (wir) Zukunft hast (haben)?
Dass du (wir) etwas aus deinem (unserem) Leben machen, etwas erreichen kannst (können)?
Dass du (wir) gesund bist (sind) dass du (wir) lesen kannst (können)?
Dass du (wir) Rechte hast (haben), Menschenrechte,
ein Reicht der freien Meinungsäußerung, ein Recht auf Bildung!
Ob es ein Zufall ist, dass du (wir) in der sogenannten „Ersten Welt“ lebst (leben),
in einem der reichen Länder dieser Erde?
Ob es ein Zufall ist, dass du (wir) nicht täglich mit schweren Naturkatastrophen rechnen musst (müssen)?
Dass es ein Sozialsystem gibt, Möglichkeiten der Medizin und Technik,
die du (wir) nutzen kannst (können)?
Hast du dich das alles eigentlich schon einmal gefragt? (Haben wir uns das alles eigentlich schon einmal gefragt?)
Warum eigentlich?

Tagesgebet


Menschen gehen zu Gott in ihrer Not,
flehen um Hilfe, bitten um Glück und Brot,
um Errettung aus Krankheit, Schuld und Tod.
So tun sie alle, alle, Christen und Heiden.

Menschen gehen zu Gott in Seiner Not,
finden ihn arm, geschmäht, ohne Obdach und Brot,
sehn ihn verschlungen von Sünde, Schwachheit und Tod.

Gott geht zu allen Menschen in ihrer Not,
sättigt den Leib die Seele mit Seinem Brot,
stirbt für Christen und Heiden den Kreuzestod
und vergibt ihnen beiden.


                                D. Bonhoeffer im Gefängnis Tegel 1944


1.Lesung: Rut 1; 14-17

 

Da weinten sie noch lauter. Doch dann gab Orpa ihrer Schwiegermutter den Abschiedskuss, während Rut nicht von ihr ließ. Noomi sagte: Du siehst, deine Schwägerin kehrt heim zu ihrem Volk und zu ihrem Gott. Folge ihr doch! Rut antwortete: Dränge mich nicht, dich zu verlassen und umzukehren. Wohin du gehst, dahin gehe auch ich, und wo du bleibst, da bleibe auch ich. Dein Volk ist mein Volk und dein Gott ist mein Gott. Wo du stirbst, da sterbe auch ich, da will ich begraben sein. Der Herr soll mir dies und das antun - nur der Tod wird mich von dir scheiden.

 

 

2. Lesung: Gaudium et Spes 1

 

Freude und Hoffnung, Trauer und Angst der Menschen von heute, besonders der Armen und Bedrängten aller Art, sind auch Freude und Hoffnung, Trauer und Angst der Jünger Christi. Und es gibt nichts wahrhaft Menschliches, das nicht in ihren Herzen seinen Widerhall fände.

 

 

Evangelium Mt 25; 31-46

 

Wenn der Menschensohn in seiner Herrlichkeit kommt und alle Engel mit ihm, dann wird er sich auf den Thron seiner Herrlichkeit setzen.
Und alle Völker werden vor ihm zusammengerufen werden und er wird sie voneinander scheiden, wie der Hirt die Schafe von den Böcken scheidet.
Er wird die Schafe zu seiner Rechten versammeln, die Böcke aber zur Linken.
Dann wird der König denen auf der rechten Seite sagen: Kommt her, die ihr von meinem Vater gesegnet seid, nehmt das Reich in Besitz, das seit der Erschaffung der Welt für euch bestimmt ist.
Denn ich war hungrig und ihr habt mir zu essen gegeben; ich war durstig und ihr habt mir zu trinken gegeben; ich war fremd und obdachlos und ihr habt mich aufgenommen;
ich war nackt und ihr habt mir Kleidung gegeben; ich war krank und ihr habt mich besucht; ich war im Gefängnis und ihr seid zu mir gekommen.
Dann werden ihm die Gerechten antworten: Herr, wann haben wir dich hungrig gesehen und dir zu essen gegeben, oder durstig und dir zu trinken gegeben?
Und wann haben wir dich fremd und obdachlos gesehen und aufgenommen, oder nackt und dir Kleidung gegeben?
Und wann haben wir dich krank oder im Gefängnis gesehen und sind zu dir gekommen?
Darauf wird der König ihnen antworten: Amen, ich sage euch: Was ihr für einen meiner geringsten Brüder getan habt, das habt ihr mir getan.
Dann wird er sich auch an die auf der linken Seite wenden und zu ihnen sagen: Weg von mir, ihr Verfluchten, in das ewige Feuer, das für den Teufel und seine Engel bestimmt ist!
Denn ich war hungrig und ihr habt mir nichts zu essen gegeben; ich war durstig und ihr habt mir nichts zu trinken gegeben;
ich war fremd und obdachlos und ihr habt mich nicht aufgenommen; ich war nackt und ihr habt mir keine Kleidung gegeben; ich war krank und im Gefängnis und ihr habt mich nicht besucht.
Dann werden auch sie antworten: Herr, wann haben wir dich hungrig oder durstig oder obdachlos oder nackt oder krank oder im Gefängnis gesehen und haben dir nicht geholfen?
Darauf wird er ihnen antworten: Amen, ich sage euch: Was ihr für einen dieser Geringsten nicht getan habt, das habt ihr auch mir nicht getan.
Und sie werden weggehen und die ewige Strafe erhalten, die Gerechten aber das ewige Leben.

Gebet für die Unschuldigen

 

Vater unser!
Du bist der Gott des Friedens.
Alle Menschen sind deine Kinder.
In der Welt ist aber so viel Unfriede und Hass.
Viele Menschen müssen ihre Heimat verlassen.
Sie sind auf der Flucht, im Krieg, hungrig, krank.
Sie werden getötet, damit andere mächtig bleiben.
Unschuldige leiden, sterben.
Ich verstehe das alles nicht, Herr.
Was kann ich schon tun? Du aber hast uns den Frieden versprochen.
Allen Menschen, die guten Willens sind.
Wer hat schon guten Willen, wenn es um den anderen geht?
Du hast alle aufgerufen, für den Frieden zu arbeiten.
Der gute Wille dazu fehlt uns oft.
Vielleicht muss ich bei mir anfangen, in der Familie.
Ich muss, ich will mich einsetzen.
Aber es ist nicht so leicht.
Friede muss klein anfangen, wachsen und sich ausbreiten.
Friede beginnt bei mir, von Mensch zu Mensch.
Mach uns zu Friedensboten, Herr,
damit nicht weiter Unschuldige leiden müssen.